Erstmals in den acht Jahren seines Bestehens wird das Festival mit einem Eröffnungskonzert in der Berliner Volksbühne eingeläutet. Damit setzen zwei Akteure, die sich in verwandter Weise durch kontinuierliche Arbeit für eine unabhängige, neuartige und kritische Musik verdient gemacht haben, ein gemeinsames Zeichen für eine starke und freie Berliner Musikszene. Gleichzeitig ist der Abend ein Ausblick auf die Vielfalt des Festivalprogramms der nachfolgenden Tage.
Der Auftritt der Amerikanischen Sun City Girls ist eine Sensation. Ihr Konzert in der Volksbühne ist der erster Europaauftritt in der 25-jährigen Geschichte der Band. 1982 in Seattle gegründet gelten die mysteriösen Sun City Girls mit recht als die Vorreiter der amerikanischen Free-Form-Folk-Noise Bewegung, die mit Bands wie No Neck Blues Band, Battles, Sunburned Hand of the Man, Gang Gang Dance oder Animal Collective derzeit in Europa auf großes Interesse stößt. Doch die drei Sun City Girls – Alan Bishop (Bass, Stimme), Richard Bishop (Gitarre, Piano) und Charles Gocher (Schlagzeug) – sind ihre ganz eigene Bewegung. Einzigartig, unvorhersehbar und rätselhaft erfinden sie sich mit jedem Album und jedem ihrer äußerst raren Konzerte neu. Sie sind Ikonen eines unangepassten, unabhängigen Undergrounds, der in erster Linie macht, was ihm selbst bedeutsam und wichtig erscheint. Ihre Musik ist auf radikale Weise frei. Mühelos überspringt sie stilistische Grenzen: mal akustischer Song von atemberaubender Schönheit, mal ausufernde psychedelische Improvisation, mal Guerilla Straßentheater, mal Mysterienspiel.
Vor dem Auftritt der Sun City Girls wird auf dem Theatervorplatz ein Gratis-Konzert auf MIDI-Street-Instrumenten aus den Niederlanden gespielt. Ein 12,5 Tonnen schweres Carillon (Glockenspiel) sowie große Drehorgeln ergeben gemeinsam ein computergesteuertes Raumklang-Orchester. Unter der Ägide des niederländischen Klangkünstlers Remco de Jong werden auf den traditionsreichen Instrumenten Auftragskompositionen internationaler Elektronik- und Experimentalmusiker gespielt.
Die jahrhundertelange Tradition mechanischer Musikinstrumente wird von dem Franzosen Pierre Bastien auf der Großen Bühne meisterhaft fortgeführt. Seit vielen Jahren perfektioniert er seine aus dem Spielzeug-Klassiker Meccano konstruierten Musikmaschinen, deren Klangwunder auf seinen Veröffentlichungen für Aphex Twins Rephlex Label zu hören sind. Bastiens kinetische Kunstwerke, begeistern akustisch wie visuell – die Schönheit des Mechanismus, das faszinierende orchestergleiche Zusammenspiel der vielfältigen Objekte und der feine, sich in den Maschinen manifestierende Humor kombiniert sich mit der Großartigkeit der sich allmählich zu immer größerer Komplexität entwickelnden Musik und Bewegung. Die Welt Pierre Bastiens ist eine musikalische Wunderkammer.
Bezugspunkt von Alexander’s Annexe ist ein anderes Instrument mit großer Tradition: Sarah Nicolls, Pianistin der London Sinfonietta spielt den Konzertflügel, während Mira Calix und Komponist David Sheppard ihre Klänge aufgreifen und in ihren elektronischen Instrumenten verarbeiten. In gemeinsamer Improvisation finden sie zu einer ungewöhnlichen, auf radikal schöne Weise mysteriösen Musik, die zwischen feinsinnig brüchigen und vielschichtig rohen Klängen changiert. Der unterschiedliche Hintergrund der drei Musiker eröffnet dem an sich so vertrauten Klavier im Zusammenspiel eine neue, noch ungehörte Klangpalette.
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